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Dienstag, 19. März 2013

Achilles' Verse: Lieber Gott, lass es Blumenerde sein!


Eine Trägheitsdepression hat Wunderläufer Achim Achilles befallen. Seine Verletzung kettet ihn ans Seniorenfahrrad im Fitnessstudio, allenfalls ein kurzer Ausflug in den Pool ist erlaubt. Doch was er da sieht, vertreibt seine schlechte Laune nicht - im Gegenteil.

Fernsehen auf dem Hometrainer: Auch das ist Sport - nicht aber für Achim Achilles
Hildegard ist meine neue Liebschaft. Jeden Morgen um kurz vor halb acht klettert sie in ihrem Frottee-Anzug auf das Ergometer links neben mir, grüßt mit einem sehnsüchtigen Blick auf meine ehemals straffen Schenkel und starrt fortan aufs Frühstücksfernsehen. Drucklos tritt sie zwölf Minuten lang 23 Watt auf Stufe eins - kein wesentlicher Beitrag, weder zur Energiewende noch zur körperlichen Ertüchtigung. Eher gefühlter Sport mit einem Pulsanstieg knapp unter der QVC-Schnäppchenschwelle. Ablasshandel nach den Vorgaben der Apotheken-Umschau.
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Ich tue so, als ob ich rackere. Eine Art physische Beichte: alles nicht so gemeint, aber mit großem Ernst vorgeführt. Ich rackere als Einziger, schon deswegen, um Hildegard zu beeindrucken. Aber ihre Sehschwäche verhindert den Blick auf mein Display. Schweiß rinnt aus meinen Poren, was in geschlossenen Räumen mit Teppichboden leicht ins Eklige spielt. Hildegard schnuppert interessiert: Was mag diese Flüssigkeit sein? Leidet der relativ junge Mann neben ihr an einer spannenden neuen Form der Inkontinenz?
Ich trete rein, als wollte ich das Liegefahrrad bestrafen, seit drei Wochen jeden Tag. Wenn man den rechten Arm weder durchstrecken noch aufstützen noch erschüttern darf, reduziert sich die Zahl der Trainingsvarianten auf Kraulbeinschlag, Sitzergometer und Botoxen. Seit vier Tagen versuche ich Stepper, ein stumpfes Gerät, das selbst Amöben in den Hospitalismus treiben würden. Ich spüre, wie das bisschen Form, das ich mal hatte, stündlich meinen Körper verlässt. Ich bin ein schlapper Luftballon, die Restspannung besteht aus Gift und Galle.

"Der Blick in die eigene Zukunft ist grausam"

Schlechte Laune, deine Wurzel ist Sportverbot. Bisher habe ich nur die Kinder angebrüllt. Aber Hildegard ist auch bald dran. Und ihre unseligen Schwestern, die bewegungslos im Pool dümpeln. Lieber Gott, lass es Blumenerde sein, was ich da bisweilen treiben sehe, wenn ich mit Flossenantrieb meine Bahnen abschleiche und Zeit genug für Unterwasserstudien habe.

Seit meinem leider nicht ganz gestandenen Salto inklusive Rad, der mein Schlüsselbein in vier Teile zerlegte, bin ich an die Seniorentagesstätte namens Fitnessstudio gefesselt. Links strampelt Hildegard, rechts keucht Elisabeth, die immer schon da ist, weil sie wahrscheinlich gar nicht mehr nach Hause geht. Statt Waschen gibt's ja den Pool. Und alle paar Minuten schauen Horste oder Karlheinze vorbei in Feinripp, Karosocken und balzender Absicht. Wie man sich die Tage zwischen den Kreuzfahrten halt so vertreibt, mit Standfahrradstreicheln und Pilates-Kurs und stundenlangem Austausch von Beschwerden. Noch zehn Jahre, dann bin ich auch so. Der Blick in die eigene Zukunft ist grausam. Spontanes Requiem für Gunter Sachs.
Mona sagt, ich möge mich doch bitte täglich mindestens zwei Stunden auf dem Ergometer austoben, damit auch andere Menschen in den Genuss meiner schlechten Laune kommen. Ich leide an Trägheitsdepression wie ein stolzer Tiger, der bei Variationen von Blattsalaten in ein Abgeordnetenbüro gesperrt worden ist. Das Leben ist sinnlos ohne Bewegen, ohne nennenswerte Frischluft und natürlich ohne den "Lauf der Sympathie" zwischen Falkensee und Spandau am vergangenen Wochenende, zehn sehr großzügig gemessene Kilometer, die zum Saisonauftakt gleich eine Spitzenzeit möglich machen.

Charakterlich sind wir Sportsfreunde ja meistens einwandfrei, dennoch hat es mich mit Freude erfüllt, als ich hörte, dass die Athleten von sibirischem Gegenwind zurückgeworfen wurden. Mir gefällt auch das tägliche Schneetreiben, das sich hoffentlich so lange hinzieht, bis ich wieder raus darf, also Mai. Bis dahin werde ich Hildegards Rollator leihen und mich im radgestützten Walken versuchen.

Die beste Motivation gegen Trägheitsdepression: "Bewegt Euch! Die Glücks-Philosophie des Achim Achilles".

Fonte: http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/achilles-verse-fitnessstudios-machen-achim-schlechte-laune-a-889669.html

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